Westdeutsche Marx-Aneignung

Mit den Neuanfängen einer Kritik nach Marx sind in den 1960er Jahren in West-Deutschland zahlreiche Namen verbunden. Sie stehen zunächst weniger für Protagonisten einer bestimmten Marx-Lesart im engen Sinne, sondern sie sorgen zunächst grundsätzlich für eine neue Marx-Aneignung und eine Erneuerung einer „Kritik nach Marx“.

Alfred Schmid wurde in Frankfurt am Main zum „Pionier einer undogmatisch-emanzipatorischen Marx-Rezeption“, zu der weitere Schüler von Adorno gehörten wie Hans-Georg Backhaus, Helmut Reichelt und Hans-Jürgen Krahl. Zu nennen sind des Weiteren der Politologe und Rechtswissenschaftler Wolfgang Abendroth, der neben anderen wie etwa dem Soziologen Werner Hoffmann zur marxistischen „Marburger Schule“ der Politikwissenschaft gehört. Zu den „Schülern“ gehört unter anderem Frank Deppe. Weitere Protagonisten einer neuen Marx-Aneignung waren Oskar Negt, Wolfgang Fritz Haug und Helmut Reinicke.

Die neue Marx Aneignung findet in der Bundesrepublik vor allem im Umfeld der StudentInnenbewegung und in den verschiedenen Wissenschaftsinstitutionen und dann in den „Neuen Sozialen Bewegungen“ statt, zum Teil aber auch in den klassischen Parteien und Organisationen der Linken. Die Motivation war durchgehend dieselbe: Eine kritische Auseinandersetzung mit der Nachkriegsgesellschaft und die Erneuerung einer Kritik nach Marx. Diese Erneuerung vollzog sich zum einen durch eine Rückkehr zu Marx’ Texten und eine Re-Lektüre, zum anderen war sie aber bereits gleichsam vorbereitet worden durch den Linkssozialismus und die verschiedenen Strömungen des „Westlichen und heterodoxen Marxismus“, vor allem durch die Kritische Theorie.

Diese neuen Marx-Aneignung findet ihre Fortsetzung heute vor allem in der Kritischen Soziologie, im Umfeld der Gewerkschaften, unter linken Sozialdemokraten und teils auch in der Linkspartei sowie in Gruppen aus dem Bereich der sozialen Bewegungen. Wichtige Orte der Debatte und Theoriebildung sind zum Beispiel die Zeitschriften Das Argument und Prokla.