Die Deutsche Bahn wird einen ihrer neuen ICE-Züge nach Karl Marx benennen. Das ist einerseits völlig verdient, hat der Alte aus Trier doch schon 1862 das Eisenbahnwesen als »die kolossalste Ausgeburt der modernen Industrie« bezeichnet, eine »Parvenuform des Reichtums«, die »mit den Füßen in der Erde wurzelt« und »mit dem Kopf auf der Börse lebt«. Mehr dazu findet man hier.
Nun, letzteres ist für hiesige Verhältnisse nicht ganz richtig, die Deutsche Bahn hat ihren Börsengang dann doch irgendwann abgesagt, die Gründe dafür waren aber weniger Einsicht in die Sinnhaftigkeit öffentlich kontrollierter Unternehmen, sondern hatten mehr genau damit zu tun: mit der Börse. Die Absage erfolgte angesichts der 2007 ausgebrochenen Finanzkrise.
Aber zurück zum ICE. Diese schnieken Züge andererseits, mit denen der staatseigene Betrieb Leute, die es sich leisten können, in Großstädte bringt, um damit den Billigfliegern Konkurrenz zu machen, leider auf Kosten der Menschen, die lieber in irgendeine Kreisstadt wollen, in der die Deutsche Bahn aber inzwischen längst nicht mehr hält, eben jene ICE kommen nun in der vierten Generation. Für den Konzern Bahn eine Gelegenheit, sich mit ein bisschen Kundennähe günstige Schlagzeilen zu erheischen - das Unternehmen nennt es sogar »folgerichtig, dass unsere Kunden auch bei der Namensgebung mit entscheiden«.
Nun fragt man sich, warum man nicht auch bei der Taufe von »Fries Blutwurst« Mitspracherecht hatte. Aber egal die Bahnkunden haben mitentschieden, und deshalb wird nun demnächst ein ICE »Karl Marx« verspätet irgendwo ankommen oder in falscher Wagenreihenfolge Zugreisende zur Weißglut bringen. Dafür kann der Ökonom und Philosoph so wenig wie die anderen Namenspaten, darunter Vicco von Bülow, Ludwig van Beethoven, Albert Einstein und Alexander von Humboldt. Eigentlich eine ganz gute Gesellschaft für Marx. »Die historische und soziale Bandbreite der Namensvorschläge war beeindruckend«, wird dem interessierten ICE-Reisenden mitgeteilt. Und na klar, »da fiel die Auswahl für die Jury nicht leicht«.
Ohnedies: Wer sich die Liste der 25 Namen für die ICE-4-Taufen in den Jahren 2018 und 2019 anschaut, kann das Land, in dem die Züge so benannt werden, eigentlich gar nicht so schlecht finden. Ja, natürlich auch wegen Marx, nach dem in seinem Geburtsland aktuell nicht einmal eine Universität benannt ist. Aber auch wegen den Geschwistern Scholl, wegen Marlene Dietrich, Erich Kästner, Anne Frank. Auch die Sozialreformerin Marie Juchacz ist dabei, Käthe Kollwitz und Hannah Arendt, Willy Brandt und Heinrich Heine auch. Dass keine auch nur irgendwie geartete Namensliste in diesem Land ohne Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Fritz Walter auskommen kann, ist halt so. Wahrscheinlich irgendwann in den 1960er Jahren per Gesetz so festgelegt worden. Aber sonst? Wo sonst bitteschön heißen die Züge der Staatseisenbahn nach den Kritikern der Zustände in eben diesem Land, naja, jedenfalls der früheren?
Bei der Deutschen Bahn will man so politisch natürlich nicht denken. Aber wenn die ICE-Freunde nun einmal solche Namen einreichen, dann, ja dann, dann sagt man eben: »So unterschiedlich die ausgewählten Persönlichkeiten auch sind, sie haben eins gemeinsam: Sie waren neugierig auf die Welt.«
Das gilt für Marx ganz gewiss. Seine Neugier hat ihn immerhin dazu gebracht, »die ganze ökonomische Scheiße« zu ergründen und in eine der bis heute wichtigsten Abhandlungen zu fassen. Ob und inwieweit Marx’ schon zitierte »Statistische Betrachtungen über das Eisenbahnwesen« von 1862 eine Rolle für jene spielten, die seinen Namen als ICE-tauglich erachteten, kann hier leider nicht erforscht werden.
Marx aber hatte seinerzeit eine recht klare Meinung vom Management der Eisenbahnkonzerne. Weil die Unternehmen so groß wurden, verminderte sich »mit dem kolossalen Betriebsumfang … die Kontrolle der Aktionäre, usurpierte die Direktion größere Machtfülle und folgte auf dem Fuß Missverwaltung«. Modern gesprochen: Dem 100-prozentigen Anteilseigner Bund gehört zwar die Deutsche Bahn, die bald einen Karl Marx auffährt. Aber die Direktion macht was sie will.
Übrigens: Ist die ganze Sache mit der ICE-Taufe womöglich eine späte Rache der DDR? Dort hieß der wichtigste Lokomotivbau-Betrieb - genau: Karl Marx.