«Feminism is for everyone»

Warum wir Klasse und Feminismus nicht gegeneinander ausspielen sollten

Barbara Fried

ist leitende Redakteurin der «Zeitschrift LuXemburg» und stellvertretende Direktorin des Instituts für Gesellschaftsanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie arbeitet zu Fragen von Gesundheit und Pflege, sozialen Infrastrukturen und linkem Feminismus. Außerdem beschäftigt sie sich mit Organisierungsansätzen und verbindenden Politiken im Care-Bereich und ist Mitbegründerin des Netzwerk Care Revolution.

Das Jahr 2017 hat weltweit mit feministischen Protesten begonnen: Der Einspruch gegen die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde am sichtbarsten von den women’s marches artikuliert – und zwar nicht nur in den USA. In Polen konnte der Widerstand gegen die Einschränkung reproduktiver Rechte vonseiten der rechtsnationalen Regierung weitergetragen werden, und von Buenos Aires über Istanbul bis New Deli brachte der 8. März Hunderttausende auf die Straße. Auch hierzulande hatte es jahrzehntelang keine vergleichbaren Demonstrationen anlässlich des internationalen Frauentags gegeben.

Gleichzeitig gelingt es rechten Parteien und Bewegungen, in der fortdauernden organischen Krise des Neoliberalismus einen verbreiteten und zum Teil berechtigten Unmut aufzunehmen, zu artikulieren und mobilisierungsfähig zu machen: Unmut über eine Gesellschaft, die die Anliegen der Vielen mit Füßen tritt und in der obszöner Reichtum einhergeht mit wachsenden Existenznöten und sozialen Ungleichheiten; Unmut über eine Gesellschaft, in der demokratische Strukturen und Verfahren ausgehöhlt wurden und in der anhaltender Flexibilitäts- und Marktdruck für die allermeisten Dauerstress bedeutet, es praktisch unmöglich macht, Lohnarbeit, Reproduktionsnotwendigkeiten und sonstige Ansprüche ans Leben ins Lot zu bringen.

Dies wird von der Rechten wirkungsvoll aufgenommen, so dass sie zuweilen den sichtbarsten Pol des ‹Widerstands› gegen den Status Quo zu bilden scheint. Mit ihrer Mobilisierung gegen «Genderwahn», «Frühsexualisierung» und «Ehe für alle» organisiert sie Angriffe auf Errungenschaften der Frauenbewegung und von LGBTIQs sowie auf all jene, die dem Bild heterosexueller, weißer ‹Normalbürger› nicht entsprechen wollen oder können. Indem sie national-soziale, scheinbar einfache Lösungen anbietet, die auf ein vermeintlich homogenes und harmonisches Kollektiv rekurrieren, drängt sie emanzipatorische Kräfte in die Defensive.

Innerhalb der gesellschaftlichen Linken hat diese Konstellation ein verstärktes Nachdenken auch über die eigenen Praxen angeregt und vorhandenen Ansätzen alltagsorientierter, verbindender und organisierender Politiken breitere Aufmerksamkeit beschert. Außerdem hat sie – auf verquere Art und Weise – die Frage nach der Bedeutung von Klassenverhältnissen prominent und neu auf eine linke Agenda gesetzt. Das geballte Nacheinander des Aufstiegs der AfD in Deutschland, des BREXIT in Großbritannien und schließlich des Sieges von Donald Trump in den USA hat die Diskussion aufgedrängt, warum auch Teile der Arbeiterklasse ihre Frustration mit den uneingelösten Versprechen des Neoliberalismus am besten durch rechte Parteien und Bewegungen ausgedrückt sahen (vgl. u.a. Candeias 2017 und Debatte zu Eribon auf LuXemburg Online 2016).

Wieso gelingt ausgerechnet der Rechten die Artikulation eines Anti-Neoliberalismus? Was hat dies mit den linken Politiken der letzten Jahrzehnte zu tun? Und vor allem: Wieso lassen sich Feminismus und Frauenbewegung – aka «Genderwahn» – so problemlos als Teil des verachteten Establishments angreifen? Was bedeutet all das für künftige feministische Antworten, wie könnte ein Feminismus aussehen, der sich diesen Fragen stellt, gar eine feministische Klassenpolitik formuliert?

Die Linke: zu wenig Klasse, zu viel «Gedöns»?

Die gesellschaftliche Linke habe die soziale Frage vernachlässigt und sich stattdessen mit ‹Identitätspolitiken› beschäftigt, lautet eine in den letzten Monaten oft formulierte Kritik. Sie habe zu sehr auf Feminismus und andere vermeintliche Randgruppenthemen orientiert und sogar dazu beigetragen, dem Erfolg der Rechten den Weg zu bereiten. Beides ist so sicherlich nicht haltbar. Dass die Linke jedoch den Zugang zu großen Teilen der arbeitenden Klassen wie der Erwerbslosen verloren hat, ist eine Tatsache. Dies gilt speziell für soziale Bewegungen und die sogenannte Emanzipationslinke, aber in der Tendenz auch für die partei- und gewerkschaftsorientierte Soziallinke. Auch sie bewegt sich oft in akademisierten und tendenziell professionalisierten Zusammenhängen, schafft es noch zu wenig, die alltägliche Bedrängnis vieler Menschen so aufzunehmen, dass sich diese angesprochen fühlen. Und dies trifft keinesfalls nur für überwiegend männliche Beschäftigte in den ehemaligen Industriezentren zu, sondern für migrantische Servicekräfte genauso wie für prekär beschäftigte Wissensarbeiter*innen. Auch für sie sind linke Praxen überwiegend kein Bezugspunkt.

Falsch ist jedoch, dass diese ‹Entfremdung› einem zu viel an rosa-lila-grünen Themen geschuldet sei. Im Gegenteil: Bis heute haben es feministische und migrantische Perspektiven genauso wie ökologische Fragen kaum in den Kanon der politischen Linken (und nur zum Teil in den der Bewegungslinken) geschafft. Sie werden teils wohlwollend, aber oft abgrenzend und abschätzig als «Gedöns» verhandelt. Eine systematische Verschränkung linker ‹Kernthemen› mit feministischen Anliegen steht aus, sodass ‹Frauenpolitik› weiterhin als Spartenproblem verhandelt wird, die mit der Kritik an Arbeitsverhältnissen, Umverteilungsfragen und Finanzkrise nichts zu tun hat. Diese Trennung gilt es zu überwinden und entsprechende Ansätze in der Entwicklung einer feministischen Klassenpolitik nach vorn zu stellen.

Feminismus auf dem Prüfstand

Wiederum richtig ist, dass innerhalb feministischer Kämpfe – auch in denen, die über einen bürgerlichen Feminismus hinausgehen – die Anliegen sowohl vieler ‹nicht-weißer› Frauen*, aber eben auch vieler Frauen* aus sozial marginalisierten Verhältnissen kaum vorkommen. Die Themen der Frauen- und Umweltbewegung, die Kämpfe um gesellschaftliche Akzeptanz und Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensweisen, ob nun von LGBTIQs oder von Migrant*innen, haben sich von den Belangen und Lebensrealitäten vieler Leute entfernt. Zum Teil wurden sie ‹enteignet›, selektiv in hegemoniale Projekte eingebunden – wie beispielsweise Forderungen nach einer Frauenquote in Dax30-Unternehmen, Diversity-Programme für Führungspersonal, aber auch das Elterngeld, von dem Besserverdienende überdurchschnittlich profitieren.

So erscheinen sie eher als Versuche, Karrierezugänge für hochqualifizierte, flexible und leistungsbereite Individuen zu schaffen, wurden faktisch zu Eliteprojekten. Im Zuge dessen haben sich Teile der oben genannten Bewegungen auf das Feld von Anerkennungspolitiken drängen lassen und es vernachlässigt, ihre Anliegen systematisch als Fragen sozialer Gerechtigkeit aufzuwerfen, Armut, Ausgrenzung und Marginalisierung als zentrale Momente von Sexismus und Rassismus zu thematisieren und Geschlechterverhältnisse als (gesamt-)gesellschaftliche – auch ökonomische – Strukturkategorie zu analysieren.

Feminismus für alle – Feminismus erneuern

Für die Frage nach einer feministischen Klassenpolitik stellt sich die Frage: Welche unserer bisherigen Forderungen nehmen eigentlich wessen Anliegen auf? Und gelingt es uns, das, was wir erreichen wollen, so zu kommunizieren, dass es überhaupt ‹gehört› werden kann? Wie können wir unsere Projekte so anlegen, dass sie die Anliegen der Vielen repräsentieren?

Hier sind nicht zuletzt Erkenntnisse der frühen Intersektionalitäts-Debatten zentral. Audre Lorde, schwarze Poetin und feministische, lesbische Aktivistin, wies wie viele andere darauf hin, dass «Gleichstellung» für schwarze Frauen noch nie ein überzeugendes feministisches Narrativ war, schon wegen der schlagenden Offensichtlichkeit der Unterschiede zwischen Frauen* (1984). Davon lässt sich für eine Debatte um feministische Klassenpolitik lernen, denn es ist diese Erfahrung, die Frauen* auch hierzulande machen: «Diese Debatten haben mit meinem Leben nichts zu tun.» Sie konstruieren ein Kollektiv Frau, das als Erfahrungsraum keine Bedeutung und vor allem keine handlungsermächtigende Form hat. Wenn als feministisch vor allem Quoten für Führungspositionen und belehrende Sprachregeln wahrgenommen werden, Kämpfe gegen prekarisierte Arbeit oder für einen erweiterten Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende aber nicht, dann ist es kein Wunder, dass der Feminismus als Eliteprojekt erscheint.

Wer ist die Arbeiterklasse? Intersektionale Klassenanalyse

Die Kritik an Aspekten feministischer Kämpfe lässt sich vor diesem Hintergrund etwas anders formulieren, nämlich weniger: Die Feministinnen haben das und das nicht berücksichtigt, sondern: Welche Alltagserfahrungen von Frauen* (nicht-weißen, sozial marginalisierten, Trans-Frauen u.a.) sind darin nicht abgebildet? Und vor allem durch welche Praxen, veränderten Diskussionsräume und Bündnisse lässt sich das ändern?

Nehmen wir diese Perspektive ein, wird deutlich, dass die in der gegenwärtigen Debatte verbreitete These, es gehe um einen Widerspruch zwischen Identitäts- auf der einen und Sozial- oder Klassenpolitik auf der anderen Seite, nirgends hinführt und doppelt schief ist. Es handelt sich nicht um zwei unterschiedliche und unterschiedlich zu bearbeitende Probleme: die Anliegen von sozial marginalisierten Menschen hier und von Frauen*/LGBTIQ/Migrant*innen dort. Dieser vermeintliche Gegensatz ist vielmehr selbst Ausdruck des Problems, Ausdruck sowohl einer Klassenanalyse, die zu kurz springt, als auch einer verkürzten Analyse von Geschlechterverhältnissen (und von Rassismus). In der Auffassung davon, was ‹Klassenverhältnisse› ausmacht, dominiert die Vorstellung, ‹Klasse› stelle sich allein in der Produktionssphäre im engen Sinne her. Meist geht der Blick über die Lohnarbeit nicht hinaus. Gleichzeitig gibt es in der Sprache der Klassenanalyse keine Begriffe, mit denen sich Diskriminierungserfahrungen, die sich nicht (allein) aus der Stellung im Gesamt der Produktionsverhältnisse ergeben, überhaupt formulieren ließen: alltägliche rassistische Erniedrigung und sexistische Abwertung.

Betrachten wir Heteronormativität und Geschlechterverhältnisse als «Produktionsverhältnisse» und von Beginn an als «fundamentale Regelungsverhältnisse» (Haug) in allen Lebensbereichen, wird deutlich, dass Geschlecht nicht ein weiteres, wenn auch gleichgewichtiges Unterdrückungsverhältnis ist – so die Tendenz in vielen Debatten um race, class and gender –, sondern ein Moment von Klassenverhältnissen selbst, ein Arrangement, die gesellschaftliche Arbeitsteilung und damit Herrschaft zu organisieren. Dazu gehört auch die innere Spaltung der Klasse, für die die Ordnung der Geschlechter eine zentrale Rolle spielt. Die Spaltung beispielsweise in diejenigen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten, und jene, für die dies überwiegend miterledigt wird, oder in diejenigen, die sich in ihren Bildungsbiografien für einen Facharbeiterberuf entscheiden, und jene, die – für die Hälfte des Gehalts – in den sozialen Diensten tätig werden, und folglich in diejenigen, die auch nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit noch gut leben können, und jene, die keine existenzsichernde Rente beziehen werden.

All das sind Fragen der Geschlechterverhältnisse und entsprechend keine den Klassenverhältnissen äußerliche Formen der Herrschaft, die es in der Analyse zu verschränken gilt, sondern deren integraler Teil. Die Durchzogenheit der Klassenverhältnisse durch Einbindung und Spaltungen entlang von Kategorien wie Hautfarbe oder Geschlecht legt die Latte für solidarisches Handeln hoch. Dies ist es jedoch, worauf eine feministische oder intersektionale Klassenpolitik zielt: Es gilt danach zu fragen, welche Politiken es ermöglichen, diese Verhältnisse zu überwinden; und zwar «alle Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes [...] Wesen ist» (Marx), und auf dem Weg dahin, nicht Teile der Klasse auf Kosten anderer zu ermächtigen.

Trotz allem: Klasse als strategischer Kristallisationspunkt

In den genannten und weiteren feministischen Kämpfen gilt es also, eine klassenpolitische Perspektive explizit einzuziehen oder herauszuarbeiten, ohne dass diese dominiert oder in einem traditionalistischen Sinne Klassenfragen als übergeordnet zu begreifen oder prioritär zu behandeln – was in Debatten um feministische Klassenpolitik nachvollziehbar immer wieder als Sorge geäußert wird. Die Aufgabe eines klassenpolitischen Feminismus (oder einer Linken, die diesen entwickeln will) müsste als also darin bestehen, zunächst existierende Kämpfe und Forderungen daraufhin abzuklopfen, wo implizite oder explizite Ausschlüsse produziert werden bzw. an welchen Stellen sich klassenpolitische Perspektiven im Feminismus stärken ließen.

Dazu gehört die wichtige Frage, wie sich die unterschiedlichen Teile der Klasse, die sich daran beteiligen sollten, gewinnen lassen – insbesondere jene, die es angesichts der bisherigen feministischen wie sonstigen politischen Debatte nicht gewöhnt sind, ihre Probleme auch als Klassenprobleme wahrzunehmen, bzw. jene, die es angesichts der bisherigen Debatte um soziale Fragen nicht gewöhnt sind, ihre Probleme auch als Geschlechterfragen zu denken? Hier gilt es Formen zu entwickeln, mit denen unterschiedliche Anliegen aufgegriffen und auch als Klassen- und Geschlechterfragen und in diesem Sinne als gemeinsame Identität reformuliert werden können.

Statt Klassen- oder Identitätspolitik brauchen wir also eine Klassen- als Identitätspolitik – eine Politik, in der die Aufhebung der Klassenverhältnisse in einem nicht reduktionistischen Sinne zum gemeinsamen Bezugspunkt wird und an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Feldern jeweils unterschiedlich bearbeitet werden kann, aber eben doch mit einem gemeinsamen Ziel, die dabei entstehenden Bedingungen gemeinsam und demokratisch für alle zu gestalten – und mit einem deutlichen Antagonismus gegen herrschende Politiken und Spaltungsversuche.

Politisch ließen sich so über den Feminismus hinaus unterschiedliche Bewegungen in einer neuen Klassenpolitik aufeinander beziehen, um in dieser Vielheit einen «verbindenden Antagonismus» zum Neoliberalismus zu bilden, der auch der Rechten das Feld streitig macht. In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation erscheint ein inklusiver Feminismus oder eine feministische Klassenpolitik als mobilisierungsfähiger Gegenpol nicht nur zu einem aggressiven Anti-Feminismus, sondern auch zu einem autoritären Projekt von ‹oben› und ‹rechts› insgesamt. Ein vielversprechender Anfang ist, dass sich in einer solchen Bewegung, die sich auch gegen einen liberalen Feminismus à la Clinton wendet, der Protest gegen die Regierung von Donald Trump bündeln konnte und bisher am deutlichsten sichtbar wurde. Ganz nach der Losung der Intersektionalitäts-Theoretikerinnen gilt es deshalb auch hierzulande, leidenschaftlicher als bisher für die Perspektive «Feminism is for everyone» zu werben.

In diesen Text sind viele Diskussionen eingeflossen, die rund um die Gründung des Gesprächskreis Feminismus der Rosa-Luxemburg-Stiftung geführt wurden. Die Langfassung ist in der Zeitschrift LuXemburg erschienen.

Zum Weiterlesen:

  • Candeias, Mario, 2017: Eine Frage der Klasse. Neue Klassenpolitik als verbindender Antagonismus, in: Weltklasse, LuXemburg Online-Sonderausgabe, August 2017
  • Demirović, Alex: Die Zumutungen der Klasse. Vielfältige Identitäten und sozialistische Klassenpolitik, in: Klasse neu denken, Debattenheft der Sozialistischen Linken, 7/2017
  • Fried, Barbara/Schurian, Hannah, 2016: Nicht im Gleichschritt, aber Hand in Hand, in: LuXemburg, 1/2016
  • Dies. (Hg.), 2017: UmCare. Gesundheit und Pflege neu organisieren, 2. überarb. Auflage, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Materialien, Berlin
  • Haug, Frigga, 2002: Zur Theorie der Geschlechterverhältnisse, in: Das Argument 243