Sein 200. Geburtstag am 5. Mai sorgt für eine Fülle an neuen oder neu aufgelegten Publikationen. Einer der profiliertesten Kenner des Werkes von Marx und Engels im deutschsprachigen Raum ist Michael R. Krätke. Der Professor für Politische Ökonomie an der Universität Lancaster widmet sich in seinem neuen Buch der Aktualität von Marx’ politischer Ökonomie, aber auch der Frage, ob Engels die Bände 2 und 3 des »Kapitals« verfälscht habe. Bezüglich der Zielgruppe ergibt sich hieraus ein kleines Problem: Einige Beiträge sind durchaus für Einsteiger in das Thema Marx(-ismus) zu empfehlen. Andererseits führt Krätke seitenlang polemische Angriffe auf Vertreter einer »neuen Marx-Lektüre«, die für Laien kaum nachvollziehbar sind.
Höchst aufschlussreich ist es hingegen, wenn er sich auf sein Fachgebiet, die politische Ökonomie, konzentriert. Er liest Marx als Sozialökonomen, was wohl auch der Grund für seine Polemiken gegen die vermeintlich philosophischen, »hegelianischen« Deutungen ist. Marx habe in seinem Hauptwerk die Geschichte der Entwicklung des Kapitalismus und nicht dessen »Ideal« aufzeigen wollen, so Krätke. Er verdeutlicht, dass das »Kapital« Prozesscharakter trägt. Das mehrfach überarbeitete Werk bezeichnet der Autor als das »große Unvollendete« von Marx, was nicht nur den unerfüllt gebliebenen Plan von sechs Bänden betreffe. Entsprechend bestehe dessen Erbe »aus den ungelösten Problemen« seiner Theorie, die linke Denker seither beschäftigen.
Noch heute habe Marx’ Kapitalismusanalyse Relevanz - um das System, das bekämpft werden soll, überhaupt zu verstehen. Sein Denken könne gegen allzu einfache linke Lösungsansätze immunisieren, gegen eine verkürzte Kapitalismuskritik und darauf aufbauende Illusionen - »von der Abschaffung der Armut durch Umverteilung über das Grundeinkommen, die Tauschbanken, die ganz radikale Geld- und Kreditreform, die Abschaffung des Zinses, die gemein- oder sozialwirtschaftlichen Inseln, die Vollbeschäftigung, den ganz ›billigen‹ Sozialstaat bis hin zum ›schuldenfreien‹, konsolidierten Staatshaushalt«.
Krätke bestreitet jeglichen Utopismus bei Marx und Engels. Er beschreibt hingegen, wie der junge Marx 1842/43 mit Artikeln über Holzdiebstahl und das Elend der Moselbauern zur politischen Ökonomie fand. Anhand der Zeitungstexte, insbesondere jener aus den 1850er Jahren, lasse sich sein politökonomischer Denk- und Entwicklungsprozess nachvollziehen. Krätke empfiehlt, die Artikel als Ergänzung zu den Hauptwerken zu lesen. Schon der junge Marx setzte sich unter anderem. mit den Fabrikgesetzen auseinander und wies nach, dass sie (entgegen des Geschreis der Fabrikantenlobby) der Industrie im Ganzen nicht geschadet, sondern im Gegenteil die Intensität und Produktivität durch Innovationszwang gesteigert hätten. Er analysierte die Nutznießer des britischen Kolonialismus und legte dabei den Grundstein für spätere linke Imperialismustheorien. Als Wirtschaftsjournalist entwarf Marx die ersten Ansätze seiner späteren Geldtheorie, zudem veröffentlichte er viele Artikel, die zum Verständnis seiner Krisentheorie beitragen.
Michael R. Krätke: Kritik der politischen Ökonomie heute. Zeitgenosse Marx.
Hamburg 2017. 248 Seiten.
Die Rezenion erschien zuerst im Neuen Deutschland am 19.1.2018