Museum des Kapitalismus: Von der Zukunft zurück in die Vergangenheit

Wie könnte sie eigentlich aussehen, eine Welt ohne Kapitalismus? Kaum ein Werk hat soviel Debatten und Phantasien zu dieser Frage ausgelöst, wie das von Karl Marx. Dabei hat er es nirgends im Detail ausgeführt. Im Kapital – seinem Hauptwerk - analysierte er die kapitalistische Produktionsweise.

Nur verstreut finden sich darin Anmerkungen und Hinweise, die - seine Analyse hinzugenommen - zumindest eines nahelegen: Herstellung und Verteilung von Gütern würden jenseits des Kapitalismus, im Rahmen eines „Vereins freier Menschen“, nicht mehr über den Tausch Ware gegen Geld vonstattengehen. Dieser Tausch, der in der Weltformel des Kapitals G-W-G’ (= aus Geld mehr Geld machen) kulminiert, die sogenannte „Warenproduktion“, ist Kennzeichen des entwickelten Kapitalismus. Viele Debatten drehten sich daher auch im real existierenden Sozialismus um die Frage, ob dort der Markt, die Ware-Geld-Beziehung, nicht überwunden werden müsste und ob eine Planwirtschaft ohne Warenproduktion überhaupt möglich wäre.

Diese Diskussionen sind nie wirklich zu Ende geführt worden und sie stehen auch nicht, wenn überhaupt auf irgendeiner, oben auf der Agenda des öffentlichen Bewusstseins oder der theoretisch-politisch-wissenschaftlich interessierten Community. Und es ist ja auch so: Darauf eine Antwort zu finden, ohne lebensweltlich ferne und möglicherweise wenig emanzipatorische Utopien ans Reißbrett zu nageln, ist schwierig, „undenkbar“, zu „normal“ erscheint uns die soziale Organisation, in die wir hineingeboren sind, die wir von Kindesbeinen an als „natürlich“ erleben und die historisch doch nur eine spezifische Art und Weise ist.

Eine schöne Idee zur Reflexion eben dieser Fragen ist das, was in den letzten Jahren unabhängig voneinander in Brüssel, Berlin und Oakland dargeboten wird und wurde: ein „Museum des Kapitalismus“. Die Brüsseler haben ihr Projekt mittlerweile abgeschlossen, die Berliner eröffnen pünktlich zum G20-Gipfel eine „Filiale“ ihres Projekts in Hamburg, das Museum in Oakland hat vor wenigen Tagen erst eröffnet. 

Die Idee, ausgehend vom Standpunkt einer Welt, in der Kapitalismus historisch längst überwunden ist, auf ihn erinnerungskulturell zurückzublicken, hat seinen Reiz. Der Perspektivenwechsel erzwingt weitgehende Überlegungen. In die Funktion der Kuratorin oder des Kurators hinein versetzt, würden wir konzipieren und entscheiden müssen: Was gehört in so ein Museum? Was zeigen wir da? Was stellen wir aus? Am Ende ist es die Frage: Was ist eigentlich Kapitalismus, welche Bestandteile, welche Praxen, welche Auswirkungen, Erscheinungen, Verhaltensweisen, etc. pp. sind Teil kapitalistischer Gesellschaft, welche nicht und woran machen wir das eigentlich fest – und wie müsste dann die Welt aussehen, die all diese Dinge nicht hätten, wie würde dann eine nicht-kapitalistische Welt aussehen?

Insofern sind Kapitalismus-Museen eine Vermittlungsinstanz politischer Bildung und radikaler Reflexion - ganz im Sinne von „an die Wurzel“ gehend. Noch einen Reiz hat die Idee eines Kapitalismus-Museums übrigens, nämlich den Gedanken: Wir brauchen es eigentlich nicht. Wir sind ja umgeben von dem, was Kapitalismus ist. Wir sehen, fühlen, hören, leben jeden Tag darin. Der Kurator des Museumsprojekts in Oakland bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt: „The exit of the Museum of Capitalism is the entrance to the real museum of capitalism.” Dennoch: Ziel des Museums, so erklärt der Kurator, ist es, BesucherInnen einzuladen, über Alternativen außerhalb des kapitalistischen Rahmens nachzudenken. Indem sie das tun, so hoffen die MuseumsmacherInnen, vergegenwärtigen sie sich ihre eigene Verstricktheit in den Kapitalismus, wie sie alltäglich darin performen, und werden sich darüber vielleicht gewahr, wie ubiquitär und zugleich unsichtbar er ist. 

Oakland: http://www.museumofcapitalism.org/exhibitions
Berlin/Hamburg: http://www.museumdeskapitalismus.de
Brüssel: http://museeducapitalisme.org