Die Kommune von Baku

Die Geschichte der Führer der Kommune von Baku, die die Macht demokratisch und gewaltfrei eroberten, straft viele der Mythen der Russischen Revolution Lügen. Die meisten Berichte über die Russische Revolution erzählen die Geschichte einer Stadt – Petrograd –, in der das Romanow-Regime im Februar zusammenbrach und die Bolschewiki im Oktober zur Macht kamen. Auch wenn die Arbeiter, Frauen und Soldaten in der Hauptstadt von entscheidender Bedeutung waren – während des revolutionären Jahres begannen Menschen in ganz Russland ihre eigenen revolutionären Bewegungen.

Die Bevölkerung von Baku, 2.400 km weiter südöstlich, war durch Ethnie, Religion und Klasse getrennt. Diese Tatsache veränderte den geschichtlichen Kurs der Stadt und beeinflusste die Entscheidungen der revolutionären Anführer. Hier, in einer Metropole gebaut auf Öl, sollte der Oktober erst spät ankommen. Als er schließlich eintraf, versuchte der „kaukasische Lenin“, Stepan Schahumjan, die Macht demokratisch und gewaltfrei zu gewinnen. Die Geschichte der von ihm errichteten Kommune von Baku ermöglicht uns eine wichtige Perspektive auf die Russische Revolution und des darauffolgenden Bürgerkriegs.

Stadt des Öls

Durch Öl wurde Baku die größte Stadt im südlichen Kaukasus, eine weltoffene Arbeiter-Oase umgeben von größtenteils muslimischen, bäuerlichen Dörfern. An der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert produzierte man in Baku mehr Öl als in den ganzen Vereinigten Staaten. Trotz der miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen strömten bedürftige Migranten auf der Suche nach Arbeit zu den Ölfeldern. Baku wurde nicht nur das Zentrum der industriellen Revolution im imperialen Russland, sondern auch Brennpunkt der Arbeiterbewegung. Tatsächlich wurde dort 1904 der erste Kollektivvertrag zwischen Arbeitern und der Industrie geschlossen, und die Stadt diente als Zuflucht für Sozialdemokraten, insbesondere für Bolschewiki wie zum Beispiel Josef Stalin, nachdem ihre Organisationen in anderen, weniger freundlichen Städten zerschlagen worden waren.

Die Klassenunterschiede waren in Baku ebenso deutlich ausgeprägt wie die ethnischen Differenzen. Ausländische Investoren und Ingenieure saßen an der Spitze der sozialen Hierarchie, gemeinsam mit armenischen und russischen Industriellen und aserbaidschanischen Schiffsbesitzern. Russische und armenische Arbeiter hatten die qualifizierteren Berufe inne, die ungelernten Berufe wurden von Muslimen ausgeübt. Als die wechselhaftesten und ungeschütztesten Arbeiter mussten sie sich mit den niedersten Jobs zufriedengeben. Die ausbeuterische Beziehung des Reiches mit dem Kaukasus war nirgends so offensichtlich wie in Baku, wo der Gewinn aus Ölproduktion alle anderen Bedenken übertrumpfte. Die besitzende Elite – das heißt Armenier und Russen – organisierten die Regierung der Stadt, und die Fürsorge für die niederen Klassen wurde größtenteils privater Wohltätigkeit überlassen. In den politischen Institutionen gab es kaum nicht-christliche Repräsentanten, und das Regime erklärte regelmäßig den Notstand und das Kriegsrecht, womit sie das Vertrauen in die lokale Regierung und die Rechtsstaatlichkeit untergruben. Sowohl die einfache Bevölkerung als auch die herrschenden Klassen wollten Reformen, doch der Zar bot so gut wie keine institutionellen Wege, um Veränderungen zu bewirken. Die Situation verlangte eine außerrechtliche Organisation und revolutionäre Aktivisten, so wenige sie in der Zahl auch waren, boten sich als Führung mit einer Richtung an.

Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre (SRs) stellten immer wieder fest, dass sich die Arbeiter von Baku, getrennt durch Ausbildung, Lohn, Ethnie, mehr für Löhne als für Politik interessierten. Glücklicherweise waren die Öl-Unternehmen ungewöhnlich bereitwillig, Zugeständnisse zu machen, um ihre Arbeitskräfte, insbesondere ihre ausgebildeten, zu erhalten. Indem sie sich auf ökonomische Fortschritte konzentrierten, konnte der Generalstreik im Dezember 1904 einen 8-bis-9-Stunden-Tag und merkliche Verbesserungen bei den Löhnen und beim Krankengeld durchsetzen – ein Vertrag der so gut war, dass der den Spitznamen „Rohöl-Verfassung“ erhielt.

Nachdem der Zar Nicholas II. 1905 sein „Oktobermanifest“ veröffentlichte und damit seinem Volk begrenzte Bürgerrechte und eine gewählte Duma zugestand, formte Baku einen Sowjet der Arbeiterdeputierten, einer von vielen solchen Räten, der die Forderungen der arbeitenden Bevölkerung am Ende des revolutionären Jahres ausdrückte. Doch die Arbeiter konzentrierten sich weiterhin auf ihre ökonomischen Interessen und vernachlässigten die Politik. Schahumjan beschwerte sich:

Im Großen und Ganzen sind die Arbeiter hier eine schrecklich merkantilistische Gruppe. Sie überlegen und reden über einen neuen ökonomischen Streik, um sich noch ein fettiges Stück zu sichern und ihre „Boni“ zu erhöhen.

Trotz unermüdlicher Anstrengungen der Polizei hielten die Revolutionäre eine Präsenz im Untergrund selbst nach 1905 aufrecht, als das zaristische Regime die Arbeiterbewegung unterdrückte und viele Radikale entweder aus der Politik oder ins Exil drängte. Ihre Arbeit kulminierte in einem 40.000 Personen starken Streik 1914, genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem die russische Kriegsmaschine anlief.

Diese Erfolge verdeckten die Spannung, die unter der Oberfläche siedete. Die russische und armenische Mehrheit der ausgebildeten Arbeiter organisierte Gewerkschaften und übernahm das sozialdemokratische Programm, während die Muslime sich nur zögerlich in Protesten und Streiks engagierten. Beobachter bezeichneten die „Tataren“, wie sie genannt wurden, herablassend als temnje (dunkel) oder nessosnatel'nje (politisch unbewusst). Viele muslimische Arbeiter blieben ihren Dörfern und religiösen Anführern verbunden. Auch wenn eine kleine Anzahl muslimischer Intellektueller Sozialismus und Nationalismus propagierte, hatte die Mehrheit der Muslime in Kaukasien kein Interesse an Politik.

Die ethnischen und religiösen Trennungen in Baku erreichten ihren Höhepunkt im Februar 1905, als die Spannungen zwischen den Armeniern und den Muslimen zu Unruhen und interethnischen Morden führten. Muslime, alarmiert von Gerüchten, dass die Armenier zu den Waffen greifen würden, attackierten zuerst. Die Polizei und Soldaten saßen untätig daneben. Die Armenische Revolutionäre Föderation (Daschnaks), eine nationalistische Partei, die ein Jahrzehnt zuvor gegründet wurde, um die Armenier im Osmanischen Reich zu verteidigen, setzte ihre Soldaten ein, um die Gemeinschaft zu beschützen. Sozialdemokraten und Liberale prangerten die Untätigkeit der Regierung an und beschuldigten die Regierenden, ein Pogrom zu schüren. Auch nach dem Ende der Gewalt schwelten die Feindseligkeiten weiter und am Vortag des Ersten Weltkriegs fürchteten die Menschen einen erneuten unmittelbaren Ausbruch der Gewalt.

Anwachsende und fallende Unterstützung

Wie in im Großteil von Russland herrschte auch in Baku eine kurze Phase der Euphorie im Februar und März. Das bürgerliche Exekutivkomitee der öffentlichen Organisationen (IKOO) kollaborierte mit dem neugewählten Arbeiterrat und seinem Vorsitzenden, dem Bolschewik Schahumjan. Während die russische Armee im osmanischen Anatolien vorrückte, schien die Einheit an der Heimatfront wesentlich, doch die früheren sozialen und ethnischen Feindseligkeiten bedrohten weiterhin den Frieden der Stadt.

So wie es Petrograd erging, erging es auch Baku: zwei Zentren der Regierung – die IKOO und der Sowjet von Baku – konkurrierten um Einfluss unter der Bevölkerung und um Kontrolle über die Stadt. Die IKOO bestand aus Anwälten, Beamten und liberalen Intellektuellen, während die Revolutionäre der Sozialdemokraten (Bolschewiki und Menschewiki), Sozialrevolutionäre und die Daschnaks den Sowjet anführten. Die russischen Arbeiter und Soldaten unterstützten den Sowjet gemeinsam mit einem Segment der armenischen Gemeinschaft, doch Muslime blieben bis Sommer 1917 generell außen vor.

Die Liberalen, die Anwälte und die Beamten der IKOO betrachteten die Bolschewiki als Feinde von Gesetz und Ordnung, als Vorboten der Anarchie. Der Sowjet von Baku besaß eine SR-Mehrheit und unterstützte die moderaten Positionen des Petrograder Sowjets zum Krieg und sozialen Frieden: sie riefen zur Einheit „aller vitalen Kräfte der Nation“ auf und forderten einen demokratischen Frieden ohne Annexionen oder Reparationen. Die meisten Bolschewiki folgten dieser Politik durch den Frühling hindurch, doch Schahumjan hatte radikalere Ideen. Er glaubte, dass die bürgerlich-demokratische Revolution vom Februar „ein Auftakt für die soziale Revolution in Europa ist, unter dessen Einfluss es sich nach und nach in eine soziale Revolution verwandeln wird“.

Zusätzlich war Schahumjans entschiedene Antikriegsposition für die Soldaten in Baku ein rotes Tuch. Die Daschnaks fürchteten, dass ein Rückzug die osmanischen Armenier gefährden oder gar zu einer türkischen Invasion des Kaukasus führen würde, und lehnten die bolschewistische Position daher ab. In Antwort auf seine Haltung setzten russischen Soldaten, die die Sozialrevolutionäre unterstützten, Schahumjan im Mai in seiner Position als Vorsitzender des Sowjets ab.

Doch genau wie in der nördlichen Hauptstadt und an den verschiedenen Fronten sollte sich die Revolution in Baku im späten Frühling und Sommer von 1917 weiter nach links verschieben. Die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechterten sich und Alexander Kerenskis schlecht durchdachte Juni-Offensive entfremdete die Soldaten. Radikale Arbeiter und Matrosen in Petrograd versuchten im frühen Juli den Aufstand, in der Hoffnung den Petrograder Sowjet dazu zu zwingen, die Macht zu übernehmen. Nicht nur scheiterten sie mit ihrem Plan, sondern sie brachten die Sowjets von Petrograd und Baku auch dazu, sich kurzzeitig gegen die Bolschewiki zu wenden, die an der abgebrochenen Revolution mitschuldig zu sein schienen.

Lenin musste sich in Finnland verstecken und der neugewonnene Bolschewik Trotzki wurde festgenommen. Schahumjan und sein Leutnant, Alescha Japaridse, verteidigten ihre Genossen, doch die Ereignisse in der Hauptstadt schadeten den Bolschewiki, die nun wie verantwortungslose Abenteurer erschienen. Diese Stimmung sollte sich im August jedoch schnell wieder wenden, als der konterrevolutionäre General Lawr Kornilow einen Putsch gegen den Petrograder Sowjet unternahm. Währenddessen wurde Baku von Hunger geplagt, insbesondere die muslimische Bevölkerung. Arbeiter organisierten einen großen Streik und die Ölbarone kapitulierten zögerlich, auch wenn sie die Unterzeichnung des Vertrags herauszögerten.

Die örtlichen Bolschewiki ritten auf der Welle der Unzufriedenheit und forderten einen friedlichen Übergang der Macht zu den Sowjets. Während Lenin verzweifelt seine Genossen dazu drängte die Macht mit Gewalt an sich zu reißen, konnte Schahumjan geschickterweise Neuwahlen für den Sowjet von Baku organisieren und damit die bolschewistische Position stärken. Auch wenn die Partei keine Mehrheit gewinnen konnte, stimmte der Sowjet der Auflösung des IKOO zu und erklärte sich selbst souverän. Der von den SR dominierte Sowjet von Baku weigerte sich, Lenins Regierung zu unterstützen. Der Oktober hatte gezeigt, dass die Bolschewiki die führende, wenn auch nicht hegemoniale Partei in Baku waren, doch viele fürchteten, dass ein Versuch, die Macht zu übernehmen, zu Bürgerkrieg und ethnischen Kriegen führen würde. Der Sowjet hatte in der Stadt noch keine unumstrittene Macht erreicht. Er sah sich noch immer mit der städtischen Duma konfrontiert und die moderaten Sozialisten forderten eine Rückkehr zur Koalitionsregierung aller Klassen. Da keine Gruppe die Macht in der Stadt für sich allein beanspruchen konnte und die Regierung im ganzen Land zerfiel, überfiel die Stadt ein Gefühl der Krise. Die Soldaten stimmten mit ihren Füßen ab, flüchteten aus dem Kaukasus und öffneten den Weg für eine Invasion des Osmanischen Reiches.

Alle Macht dem Sowjet

Die nationalen Wahlen im letzten Monat des Jahres 1917 demonstrierten die wachsende Macht der ethnonationalen Identität. Die georgischen Menschewiki gewannen in den georgischen Provinzen mit überwältigender Mehrheit, während die führende muslimische Partei, Müsavat, und die Daschnaks in Baku und der umliegenden Gegend ohne Probleme den Sieg erringen konnten. Im südlichen Kaukasus verwandelte sich die Revolution von einem Klassenkampf zu einem ethnischen und religiösen Konflikt.

Da zwischen ihnen und dem Osmanischen Reich nun keine russische Armee mehr stand, begannen die armenischen, georgischen und muslimischen Gemeinschaften damit, ihre eigenen militärischen Einheiten zu formieren. Der Sowjet gründete verspätet seine eigenen multinationalen Roten Garden.

Muslime entwaffneten desertierende Soldaten und töteten in einer einzigartig tragischen Konfrontation bei Schamchor Januar 1918 mehr als 1.000 Russen. Dieses Ereignis bewies, dass Muslime die mit Abstand effektivste militärische Kraft in der Region besaßen. Ihre potenziellen osmanischen Verbündeten bewegten sich auf die Vorkriegsgrenzen zu. Trotz Schahumjans Versuchen eine friedliche Revolution durchzuführen, würden bald bewaffnete Männer entscheiden, wer über Baku herrscht.

Innerhalb der Stadtmauern waren die armenischen Kräfte und die muslimischen Einheiten gegenüber den Roten Garden in der Überzahl. Die sowjetischen Kräfte formten mit den Daschnaks eine taktische Allianz gegen die Muslime, die vielen als eine konterrevolutionäre Bedrohung erschienen. Schahumjan sah sich nun mit bewaffneten Kämpfen auf drei Seiten konfrontiert: gegen die anti-sowjetischen Kräfte innerhalb von Baku; in Tiflis, wo die Menschewiki den südlichen Kaukasus für unabhängig vom bolschewistischen Russland erklärten; und in Jelisawetpol, einer vornehmlich muslimischen Stadt, in der Kämpfe die Nahrungsmittelversorgung nach Baku verhinderten.

Als Ende März ein Schiff mit der muslimischen Wilden Division den Hafen erreichte, verwandelte die Stadt sich in ein Schlachtfeld. Die sowjetischen und armenischen Kräfte bekämpften die muslimische Bevölkerung der Stadt und die Roten Garden richteten ihr Artilleriefeuer auf die muslimischen Viertel. Was als muslimisch-sowjetischer Konflikt begonnen hatte, artete in ein willkürliches anti-muslimisches Pogrom aus.

Als nach den Kämpfen Muslime aus der Stadt flohen, protestierten die Armenier, der Sowjet habe die Muslime mit zu viel Nachsicht behandelt. Die Bolschewiki waren entsetzt über die Konsequenzen, aber sie konnten sich über die volle Kontrolle über die Stadt freuen. „Unser Einfluss, der der Bolschewiki, war zuvor schon groß, doch jetzt sind wir wirklich, im wahren Sinne des Wortes, die Herren über die Situation“, informierte Schahumjan Moskau.

Auch wenn die Sowjetmacht von den bewaffneten Daschnaks abhängig war, formten die Bolschewiki eine Regierung, die nur aus ihren Mitgliedern und den Linken Sozialrevolutionären bestand und die Menschewiki, Rechten Sozialrevolutionäre und Daschnaks wurden ausgeschlossen. Die Kommune von Baku, mit ihrem eigenen Rat der Volkskommissare (Sownarkom) und einem Kommissariat für Auslandspolitik, war nun in der Position, das Leben in Baku radikal zu transformieren.

Die Kommune von Baku

Das Experiment hielt nur 97 Tage, von April bis Juli 1919. Die Bolschewiki stellten sich, Marx‘ Vorstellung von der Pariser Kommune 1871 folgend, den Sowjet und sein Sownarkom als einen kombinierten Körper der Exekutive und Legislative vor.

Die Kommune nationalisierte die Ölindustrie, versuchte eine Reform der Bildung und der Rechtsprechung – trotz des Widerstands der freien Berufe – und glaubte daran, dass sie die Stadt auch ohne staatlichen Terror regieren könne, auch wenn sie zur selben Zeit die Zeitungen der Opposition verbot. Im Juni startete Schahumjan eine Offensive, um einen Angriff von Muslimen aus Jelisawetpol hinauszuzögern. Die Führung der Stadt diskutierte, ob sie weiter nach Tiflis vordringen sollte, doch als die Kräfte aus Baku den Fluss Kura erreichten, wurden sie von muslimischen, georgischen und osmanischen Truppen zurückgedrängt. Die Stadt suchte verzweifelt nach Verbündeten, um eine Eroberung durch die Osmanen zu verhindern. Schahumjan verhandelte mit den Kosaken und den Briten, doch Moskau verbot ihm, die in der Nähe stationierten Truppen von General Dunsterville in die Stadt zu lassen. Unfähig die Nahrungsmittelversorgung aufrecht zu halten, und mit nur begrenzter Unterstützung vom städtischen Proletariat und den Bauern außerhalb der Stadt, schmälerte sich die Basis der Bolschewiki. Am 25. Juli votierte der Sowjet mit 259 zu 236, die Briten in die Stadt zu lassen.

Schahumjan erklärte:

„Ihr habt England noch nicht gefunden, aber ihr habt die zentrale russische Regierung verloren. Ihr habt England noch nicht gefunden, aber ihr habt uns verloren.“

Seine Regierung trat zurück, eine nicht-bolschewistische Regierung wurde geformt und die Briten betraten die Stadt.

Mitte September, als die Osmanen kurz davor waren, die Stadt einzunehmen, entschieden sich die Führer der Kommune von Baku, die Stadt zu verlassen. Doch ihr Schiff wurde vom sicheren Hafen in Astrachan nach Krasnowodsk umgeleitet, wo turkmenische Sozialrevolutionäre die früheren Kommissare festnahmen. Sechsundzwanzig der Revolutionäre von Baku, die meisten von ihnen Bolschewiki, wurden in die Wüste verschleppt und dort hingerichtet. 1920 wurden ihre Überreste ausgegraben und sie wurden als sowjetische Märtyrer auf einem zentralen Platz in Baku beigesetzt. Dort blieben sie für die nächsten 70 Jahre, bis die post-sowjetische Regierung Aserbaidschans das Monument für die Kommissare von Baku zerstörte.

Revolutionäre Niederlage

Die Geschichte der Revolution von Baku straft viele Mythen der Ereignisse von 1917 Lügen. Die Bolschewiki von Baku waren keine von den Massen losgelösten, machthungrigen Verschwörer, sondern langjährige sozialistische Aktivisten mit tiefen Wurzeln in der Arbeiterbewegung der Stadt. Sie agierten als Demokraten, suchten einen nicht-gewalttätigen Weg zur Macht und als sie die entscheidende Wahl im Sowjet verloren, verließen sie ihre Regierungsposten friedlich. Auch wenn sie die Kontrolle über die Stadt nur dank den blutigen Märztagen erhalten hatten, nutzten die Bolschewiki von Baku, während sie an der Macht waren, keinen Terror gegen ihre Feinde.

Schlussendlich waren sie nicht dazu in der Lage die ethnischen und sozialen Trennlinien der Arbeiterklasse zu überwinden, die Nahrungsmittelkrise zu lösen oder Unterstützung für eine erfolgreiche Kampagne gegen ihre Feinde zu gewinnen. Schahumjan versuchte die Konterrevolution im Kaukasus zu stoppen und gleichzeitig Baku zu transformieren. Er weigerte sich, moderatere sozialistische Parteien in seine Regierung aufzunehmen, solange sie die Sowjetregierung in Moskau nicht anerkannten. Seine Basis war schlicht und ergreifend zu schmal und die Kommune fiel, nachdem die Bolschewiki die Unterstützung jener Arbeiterschichten verloren, deren Forderungen sie nicht erfüllen konnten.

Das Schicksal der 26 Kommissare von Baku zeugt von Ironie: die moderaten, demokratischen und größtenteils gewaltfreien Schahumjan, Japaridse und alle anderen wurden im Bürgerkrieg Opfer von weitaus skrupelloseren Gegnern. In scharfem Gegensatz dazu hatten die russischen Bolschewiki und ihre weißen Gegner im späten Sommer 1918 bereits die Logik des Krieges für sich angenommen, die Ideale einer demokratischen Regierung aufgegeben und wendeten staatlichen Terror an, um ihre Gegner zu besiegen. Die Hoffnung, dass demokratische und sozialistische Sowjets triumphieren würden, starb in diesem grausamen Kampf.

Ronald Suny ist Professor für Geschichte an der University of Michigan und Autor von, u.a., The Baku Commune, 1917–1918: Class and Nationality in the Russian Revolution (Princeton University Press, 1972). Dieser Essay erschien zuerst als Teil der Jacobin Magazine-Reihe zur Russischen Revolution. Der Beitrag erscheint in deutscher Sprache in Kooperation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und Jacobin.

Übersetzung: Johannes Liess / Redaktion: Einde O'Callaghan / Korrektur: Jasper Stange